Upcoming Architects Facing New Conditions
Interview mit Markus Zilker, einszueins architektur
Unsere Interviewserie heißt „Upcoming Architects Facing New Conditions“. Was sind die „New Conditions“ in Ihrer Arbeit?
Die „New Conditions“, der Klima-Notstand, sind gar nicht wahnsinnig neu. Wir beschäftigen uns schon seit längerem mit dem Thema Nachhaltigkeit. Ich denke, unsere Projekte gehen ökologisch schon in eine gute Richtung. In Österreich haben wir uns das politische Ziel gesetzt, 2040 klimaneutral zu sein. Wenn wir das ernst meinen, müssen wir in acht Jahren bei minus 55 Prozent CO2 in allen Branchen sein. Das ist komplett crazy, aber auch nötig, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt. In den Neunzigerjahren hat man das bereits geahnt, aber das tatsächliche Ausmaß war noch nicht so klar als heute. Bis die Tatsachen aber mit all ihren Konsequenzen im Oberstübchen angekommen sind, dauert es wohl noch. Natürlich, die Gesellschaft hat sich bereits in die richtige Richtung aufgemacht, aber das erforderliche Ausmaß ist noch lang nicht erreicht.
Wie muss nachhaltiges und ressourcenÂschonendes Bauen Ihrer Meinung nach aussehen?
Wenn die Ressourcen da sind, dann können wir sie auch nutzen. Wie schon erwähnt: Wir haben hier viel Wald. Wir sollten entsprechend mit unserem heimischen Holz bauen können. Aber das Holz, das hier geschnitten wird, geht nach Italien und wir verbauen dann letztlich im Bergell Holz aus anderen Regionen Europas. Die Globalisierung ist bei uns also genauso präsent wie anderswo. Eine heile Welt ist das nicht. Auch das Heizen ist für uns an dieser Stelle Thema, denn wir sind keine Freunde von viel Gebäudetechnik, die nur eine gewisse Lebensdauer hat. Wir glauben, Energie zu sparen, ist für uns als Menschen sehr schwierig. Wir müssen unserer Meinung nach eher Wege finden, mehr Energie zu produzieren, ohne die Umwelt zu belasten. Ressourcenschonend zu handeln, beginnt mit einem Bewusstsein für die Dinge und ihre Lebensdauer, und genau dieses Bewusstsein versuchen wir ständig weiterzuentwickeln und weiterzutragen. Uns muss klar sein, dass wir mit unserem Handeln auch noch Jahre später Folgen auslösen können. Dieses Wissen auch an unsere Bauherren weiterzugeben, ist Teil unserer gesellschaftÂlichen Verantwortung.
Was sind für Sie die absolut wesentlichen Kriterien für einen nachhaltigen Wohnungsbau?
Ein Kriterium ist für mich (und das kann nicht jedes Haus im gleichen Maße erfüllen), dass ein Wohnhaus nicht ausschließlich individuelle Räume bietet. Es geht mir da um Bedürfnisse, die ich nur außerhalb meiner Wohnungstür befriedigen kann. Das beginnt bei einer vernünftigen primären Struktur, die langfristig angelegt ist und über Generationen hinweg Umgestaltung und Umnutzung zulässt. In Wirklichkeit bauen wir, was unsere Grundrisse angeht, relativ einfache Häuser. Wir haben meistens sehr einfache Systeme, die Flexibilität und Partizipation in den Fokus stellen. Ich würde immer sagen, die Grundstruktur der Häuser muss auf Genera- tionen angelegt sein. Auf materieller und ökologischer Ebene ist der Energiebedarf zentral. Wir haben viel zu lange nur die Energieverbräuche der Häuser selbst betrachtet, wenn wir bauen reicht der Verbrauch und die CO2-Emission aber viel weiter. Im Grunde beginnt die Energie- und CO2-Bilanz bereits beim Verkehrs- aufwand mittels LKW und Co. bei der Entstehung des Bauprojektes. Wir müssen die Prozesse hier viel mehr hinterfragen.
Wir haben einen Mangel an Wohnungen in allen größeren Städten Europas. Ein Großteil des Problems könnte gelöst werden, indem der Leerstand für Wohnzwecke wieder verfügbar gemacht werden würde. Müsste sich der Staat hier Ihrer Meinung nach mehr einmischen?
Natürlich, der Staat muss sich auf vielen Ebenen mehr einmischen. Gerade dieses spezifische Thema, wie wir mit Wohnungsleerstand umgehen und wie dieser verfügbar und zugänglich gemacht werden kann, ist eines der komplexesten Themen überhaupt. Hinzukommt, dass viel zu viele Menschen auf zu vielen Quadrat- metern leben. Diese zwei Phänomene in Kombination, sind politisch unfassbar schwer zu adressieren oder gar strategisch schnell zu lösen, denn ich greife mit diesem Thema in Eigentumsrechte ein. Dafür wird es einen Paradigmenwechsel brauchen. Die Schweizer sind da teilweise ziemlich radikal. Das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt, aber in Vorbildprojekten in Zürich gibt es beispielsweise klare Belegungsregeln. Wenn eine dreiköpfige Familie in einer Vierzimmerwohnung lebt und das Kind auszieht, dann haben die Eltern hier zum Beispiel maximal ein Jahr Zeit bis sie selbst ausziehen müssen. Das sind schon harte und sehr persönliche Eingriffe. In Österreich ist sowas noch nicht vorstellbar und in Deutschland habe ich auch noch nichts von derartigen Projekten gehört.
In vielen Großstädten entstehen derzeit hunderte von neuen Quartieren, die den Charakter eines nutzungsdurchmischten Dorfes oder Kleinstadt haben werden. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Es gibt viele Quartiere, die so etwas anstreben; manche schaffen es besser und manche schlechter. Es geht darum, in Neubaugebieten von vornherein eine gute Nutzungsmischung hinzubekommen. Wir arbeiten selber an einem Projekt, was gerade im Bau ist, wo eine ziemlich radikale Nutzungsmischung von fünfzig Prozent Wohnen und fünfzig Prozent Arbeiten entsteht. Dort werden innerhalb eines Gebäudes etwa zweihundert Menschen arbeiten und hundert Menschen wohnen, das ist schon eine ganz schöne Herausforderung, mit all den technischen, rechtlichen, brandschutzmäßigen Vorgaben, die es zu realisieren gilt. Das ist alles andere als trivial. Würden die Nutzungseinheiten als zwei Gebäude nebeneinanderstehen, wäre es wesentlich einfacher. Die Idee der funktionalen Trennung (also der Trennung von Wohnen, Arbeiten und Verkehr), die aus der klassischen Moderne kommt, ist ja nicht mal hundert Jahre alt und kein Erfolg. Davor war eine Nutzungsmischung oft Standard. Es war insofern klar, dass wir wieder zu gemischten Quartieren zurück- kommen müssen.
Gast
Markus Zilker
einszueins architektur
Markus Zilker ist Gründer und Gesellschafter bei einszueins architektur. Er absolvierte das Studium der Architektur an der TU Wien und der ETSA Sevilla. Er ist Gründungsmitglied der „Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen“ sowie des Baugruppen- Projektes „Wohnprojekt Wien“, das unter anderem 2014 mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde.
Markus Zilker zeichnen langjährige Erfahrungen in der Planung und Abwicklung von Wohnbauprojekten unterschiedlichster Maßstäbe aus sowie im Umgang mit Klein- und Großgruppenprozessen. Als Experte zum Thema Baugruppen und Planungsbeteiligung kann er eine nationale und internationale Vortragstätigkeit auf Symposien, Workshops und Tagungen vorweisen
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.