Upcoming Architects Facing New Conditions
Interview mit Manuel Bieler
Der Titel unserer Interviewserie lautet "Upcoming Architects Facing New Conditions“. Was sind Ihrer Meinung nach in der Architektur die größten Herausforderungen unserer Zeit?
Der wichtigste Moment, den ich letztes Jahr in Bezug auf meine Arbeit und das Bauwesen erlebt habe, war eine Konferenz von Charlotte Malterre-Barthes, die in Harvard lehrt und nächstes Jahr an der EPFL in Lausanne unterrichten wird. Sie hielt eine Konferenz über die Verantwortung der Architekten für die materiellen Ressourcen der Welt. Sie hat eine interessante Haltung zum Thema und orientierte sich am Beispiel von Philip Johnsons Architektur und der Stahlarchitektur der 1950er- und 1960er-Jahren in den USA. Material war für mich bislang so etwas wie für einen Maler die Farben.
Aber mir ist klar geworden, dass hinter der Wahl des Materials eine enorme Auswirkung auf die Umwelt steht. Für mich ist das eine neue Bedingung, denn wenn ich als Architekt eine Linie ziehe, und wenn diese Linie aus Beton, aus Stahl oder aus Holz ist, dann hat das nicht nur eine Auswirkung auf den Ort, wo dieses Gebäude gebaut wird. Als Architekt bin ich maßgeblich verantwortlich dafür, wo das Baumaterial produziert wird und welche Auswirkung die Produktion auf den Planeten hat.
Zählen für Sie das Building Information Modeling System und die ganze digitale Transformation zu den neuen Arbeitsbedingungen in der Architektur?
Nein. Wir nutzen BIM und die digitale Entwicklung als Werkzeug. Ich liebe es, mit dieser Art von Instrumenten zu arbeiten. Dabei werden diese Tools fortlaufend weiterentwickelt, während die Computer zunehmend leistungsfähiger werden und neue Mitarbeiter immer neue Fähigkeiten und Fertigkeiten mitbringen. Die Arbeit als Architekt bleibt hingegen die gleiche. Für mich ist das insgesamt ein langsamer Prozess. Ich bin fasziniert von den digitalen Universen, die jetzt um die Spieleszene herum aufgebaut wird. Was die KI betrifft, so gibt es jetzt beispielsweise in der Musikszene eine KI-basierte Liedentwicklung. Diese Art von Musik kann man sich im Radio als Hintergrundmusik anhören, aber wirklich interessant ist sie nicht. Was mich betrifft, und vielleicht bin ich da altmodisch, ist händisch und live gespielte Musik immer gefühlvoller und spannungsvoller. Alle interessanten Dinge, die ich in der digitalen Welt und sogar in der Kunstszene kenne, werden auch in Zukunft – davon bin ich überzeugt – von einem menschlichen Gehirn und einer menschlichen Reflexion erzeugt sein.
Jede Krise bringt auch Chancen mit sich: Wie fühlen Sie sich als Architekt in einer Zeit des Wandels? Welche Herausforderungen sehen Sie?
Ich will meine Verantwortung als Architekt nicht überbewerten, aber die Architektur ist ein Teil in einer ganzen Reihe von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren für die Zukunft. Charlotte Malterre-Barthes Statement dazu ist: „Lasst uns versuchen, eine moralische Form der Konstruktion zu schaffen. Im Grunde haben wir in der Schweiz genug gebaut. Denn wir können noch so effizient kalkulieren, ein Neubau wird immer Auswirkungen auf die Umwelt haben. Lasst uns also versuchen, Stopp zu sagen.“ Vor zwei Jahren dachten wir noch, das sei unmöglich. In der Pandemie wurde aber klar, es ist möglich die Wirtschaft und die Welt zu stoppen. Wir haben es ja geschafft und waren alle drei Monate lang zu Hause. Stopp sagen funktioniert also. Das ist wirklich interessant. In der Schweiz hatten wir passend dazu vor ein paar Jahren eine Volksabstimmung, die zum Ergebnis hatte, dass es in der Schweiz nicht mehr möglich ist, ein Stück Land zu entzonen, um neues Baugebiet zu erschließen. Die bebaubare Fläche ist nun in der Schweiz sehr stark limitiert. Wenn wir ein Stück Land in eine Bauzone umwandeln wollen, müssen wir einen Teil des Landes der Landwirtschaft oder der Natur überlassen. Das hängt damit zusammen, dass wir grundsätzlich einfach nicht die Möglichkeit wie in Deutschland oder den USA haben, riesige Flächen zu entwickeln. Die Schweiz ist ein kleines Land und dieses Land müssen wir bewahren. Der nächste Schritt ist, dass wir innerhalb der bestehenden Mauern und Konstruktion bewegen müssen. Wir müssen den Zustand dieser Konstruktion erneuern und nutzen – das ist deutlich besser als die Dekonstruktion, die noch immer viel Energie und Wasser verbraucht. Bauen im Bestand ist für unseren Beruf ein wichtiges Thema, dass wir in der Schweiz verstärkt angehen müssen.
Die Architektur hat sich in den letzten Jahren nicht wirklich auf die Bedürfnisse der Menschen konzentriert. Glauben Sie, dass sich das durch die Pandemie ändern wird?
Ich glaube, grundsätzlich ist wichtig zu fragen: Für wen ist die Architektur? Wenn ich ein Bauprogramm erhalte, dann finden sich darin die Bedürfnisse des Nutzers. Ich entwickle das Projekt also in der Hauptsache für die Nutzer, aber eigentlich entwickle ich das Projekt genauso für die Gesellschaft. Wenn man ein Haus baut, baut man Räume für die Menschen, die es nutzen, aber man baut auch eine Fassade für die Menschen, die an dem Gebäude vorübergehen. Und ich muss für die Natur und für die Umwelt bauen, denn ich habe als Architekt eine Verantwortung der Umwelt gegenüber.
Welche Fähigkeiten müssen upcoming architects mitbringen, um sich von der Architektengeneration ihrer Väter zu unterscheiden?
Handwerkliches Können ist das, was mich aktuell fasziniert. Ich arbeite deshalb vermehrt eng mit Handwerkern zusammen. Dabei lerne ich wirklich viel und versuche, meine Fähigkeiten in der Hinsicht weiterzuentwickeln, dass ich die Materialität und den Konstruktionsprozess wirklich in jeder Einzelheit kenne. All dieses Wissen war früher allgemein bekannt. Das sind für mich die wichtigsten Fähigkeiten, die wir jetzt wieder entwickeln müssen. Natürlich kann man sagen, das ist sowas wie ein nostalgischer Zeitvertreib, aber für mich ist es genau das Gegenteil. Als jemand, der von der digitalen Welt und ihren Möglichkeiten fasziniert ist, ist für mich beides – das digitale und das manuelle – von großer Wichtigkeit. Ich bin fasziniert von den beiden Seiten und davon, was wir zusammen mit unserem Wissen und Werkzeugen noch alles entwickeln und erreichen können. Ich war diesbezüglich wirklich beeindruckt, als ich in Japan unterwegs war. Dort will jeder Wirtschaft studieren, um Geld zu verdienen, und wenn man das nicht schafft, wird man Zimmerman, weil der Beruf in der Gesellschaft noch anerkannt ist. In Frankreich ist das Gegenteil der Fall. Dort geht Qualität und Wissen verloren. In der Schweiz liegen wir zwischen diesen beiden Extremen. Handwerkliche Fähigkeiten werden bei uns immer noch in der Schule unterrichtet und in der Gesellschaft erkennt die Bedeutung des Handwerks an – auch mir ist das sehr wichtig.
Gast
Manuel Bieler
LOCALARCHITECTURE
Manuel Bieler ist Partner des Architekturbüros LOCALARCHITECTURE, welches in der Schweiz zwei Standorte hat: Lausanne und Zürch. Zusätzlich ist er Präsident von LAC/Léman Architectures Connexions, Co-Präsident der FAS Romandie und Mitglied des CUB-Lenkungsausschusses. Zuvor war er unter anderem als Lehrbeauftragter tätig.
Sein Studium absolvierte er an der EPFL in Lausanne, Schweiz. Seit 2010 ist er Mitglied des Bunds Schweizer Architekten*innen (BSA).
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.