Upcoming Architects Facing New Conditions
Interview mit Eva Maria Hierzer
Der Titel unserer Interviewreihe lautet „Upcoming Architects Facing New Conditions“. Was sind für Sie die wichtigsten „new conditions“ in der jungen Generation von Architekten?
Die Arbeitswerkzeuge haben sich verändert. Früher hat man mit der Hand gezeichnet, heute modellieren wir das Ganze dreidimensional. Die Werkzeuge auf der Baustelle sind ebenfalls andere. Durch Maschinen wie die CNC-Fräse entwirft, plant und baut man in der Folge auch anders als voran gegangene Architektengenerationen. Neben der Digitalisierung ist die Ressourcenknappheit ein entscheidendes Thema. Wir haben nicht unbegrenzt Rohstoffe zur Verfügung und auch der Flächenversieglung muss Einhalt geboten werden. Wir müssen schauen, wie können wir verdichten und aufstocken, und mit welchen Materialien? Das sind Aspekte, die ich für viel gravierender halte als ein digitales Planungswerkzeug wie BIM.
Welche Fähigkeiten sind als Architekt*in im Vergleich zur Vorgängergeneration heute unabdingbar?
Ich glaube, das Wichtigste ist für Architekten künftig vernetzt, kooperativ und mediativ zu denken und zu arbeiten. Früher war der Architekt der Generalist, der Stararchitekt. Er hat alles gewusst, geplant und gemacht. Heutzutage gibt es mannigfaltige Spezialisierungen. Als Architekt*in ist es nicht mehr möglich allwissend zu sein, aber man kann die entscheidenden Leute zusammenbringen, koordinieren und einen gestalterischen Rahmen einbringen, der ein Ziel formuliert. Und genau das sind die wichtigsten Fähigkeiten des Berufsbildes heute.
Spüren Sie, dass der Stellenwert der Architektur durch die Pandemie ein anderer geworden ist?
Viele Bautypologien werden sich jetzt dynamischer verändern, da ist der Architekt doch besonders gefragt!Grundsätzlich schon. Es ist faszinierend zu beobachten, dass gerade am Anfang der Pandemie, wo alle auf ihre Wohnungen zurückgeworfen waren, sich viele plötzlich aktiv mit dem eigenen Wohnraum auseinandergesetzt haben. In der Folge haben viele erkannt, dass sie so nicht mehr leben möchten und haben sich auf Wohnungssuche begeben oder innerhalb der vier Wände Platz gemacht und die Nutzung der Räume überdacht. Architekten wird es dabei immer brauchen, weil wir im Gegensatz zu den Nutzern den gebauten Raum nicht anders, sondern vorausdenken. Dabei geht es um die Fähigkeit, in Varianten und Möglichkeiten zu denken. Ich glaube, dass das eine der Kerndisziplinen von uns Architekten ist und die wird künftig immer gefragt sein.
Wie kann Architektur dazu beitragen, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage in den immer enger werdenden Städten zu reduzieren?
Ich glaube, dass der Umgang mit der bestehenden Struktur ein entscheidendes Thema ist. Unter anderem auch, weil es sehr viel Leerstand gibt. Auf der anderen Seite steht der städtische Raum, der noch bebaut werden kann. Hier gibt es genauso wie es A-, B-, C- und D-Städte gibt, auch A-, B-, C- und D-Lagen innerhalb der Stadt. In den meisten Fällen sind die A-, B- und C-Lagen bereits bebaut. Es geht also um Verdichtung in D-Lagen wie direkt am Hauptbahnhof, wo an einem Wohnungsbau die Güterzüge vorbeipreschen. Die Frage ist: Wie geht man damit um? Und wie erreicht man dauerhafte Gebäudenutzungen? Denn es gibt viele Gebäudestrukturen, die nur zu gewissen Tageszeiten genutzt werden und zu anderen völlig leer stehen. Da müssen wir multifunktionaler denken und Baugesetzte dementsprechend anpassen.
Wie viel Freiraum haben Sie bei ihren Projekten?
Die Frage ist, wie viel Freiraum kann man heutzutage noch haben. Natürlich versucht man bei der Direkt-Beauftragung seine Kreativität einzubringen, aber man bekommt von der Bauherrenschaft oft so zahlreiche Vorgaben, dass eine gewisse Einschränkung von vornherein gegeben ist. Unsere Hauptakquise-Methode ist darum die Teilnahme an Architekturwettbewerben. Hier liegt oft nur ein Raumprogramm vor und es wird erst mal nur nach der besten architektonischen Lösung gesucht. Gewinnt man einen Wettbewerb, ist der Lösungsvorschlag wiederum erst einmal in Stein gemeißelt. Wie groß der Freiraum in der weiteren Planung ausfällt, hängt davon ab, mit wem man von Bauherrenseite aus zu tun hat und da sind wir wieder bei meinem Beispiel vom Anfang: Das Projekt der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat gezeigt, dass durch die Gespräche mit den Nutzern und mit den Bauherren das Gebäude immer besser geworden ist. Der Input von künftigen Nutzern bringt einen echten Benefit, wenn man sich mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet.
Gast
Eva Maria Hierzer
NOW Architektur
Vier Partner - Stephan Brugger (Architekturstudium an der TU Graz und Yildiz Technical University in Istanbul, Türkei), Eva Maria Hierzer (Architekturstudium an der TU Graz und Universidade A Coruña, Spanien), Thomas Hörmann (Architekturstudium an der TU Graz und TÜ Istanbul Technical University, Türkei) und Stephan Schmidt (Architekturstudium an der TU Graz) - deren Wege sich immer wieder (mal kürzer, mal länger) kreuzten gründeten gemeinsam im Jahr 2021 NOW Architektur mit dem Ziel Architektur als einen uns als Gesellschaft in gleichen Maßen betreffenden gebauten Raum gemeinsam und auf Augenhöhe für jetzt und die Zukunft (um-) zu gestalten.
Architektur muss das Potenzial haben sich langfristig den ständig verändernden Bedürfnissen der Menschen anzupassen. Ein bewusst gestalteter Dialog zwischen Mensch, gebautem Raum und der Umgebung schafft Identifikation und somit einen wesentlichen atmosphärischen wie auch sozial nachhaltigen Mehrwert.
Architektur entsteht für uns immer in ihrem gebauten Kontext. Ist einfach, selbstbewusst und einfühlsam. Folgt einem konstruktiv ehrlichen, zweckmäßigen sowie ressourcenschonendem Materialeinsatz in einer hohen Ausführungsqualität und strebt nach räumlicher Flexibilität zugunsten einer langen Lebensdauer und zeitloser Gestaltung von bestehendem wie auch neuem gebauten Raum.
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.