Upcoming Architects Facing New Conditions
Interview mit Christian Olufemi & Jörg Moser
Das Thema unserer Interview-Reihe lautet: „Upcoming architects facing new conditions“. Welche neuen Herausforderungen nehmen Sie wahr?
Es normal, dass sich die Bedingungen für unsere Arbeit permanent verändern. Das ist ein Aspekt, der unsere Arbeit spannend macht. Aktuell werden, vor allem in der Architektur, alte Modelle verfolgt, die momentan ihre Zuspitzung finden. Diese Rekonstruktionsbemühungen einer längst verlorenen Architektursprache bedienen sich alter überkommener Bilder und Ideen, um sich selbst ein Wert zuzuschreiben, den sie offensichtlich verloren haben.
In einer Phase der Erneuerung befinden wir uns also noch nicht. Alles steckt noch im Greenwashing: „Ich habe ein Auto, dass statt acht nur noch sechs Liter braucht. Ich fliege in den Urlaub, aber nicht mehr nach Thailand, sondern nach Mallorca.“ Derzeit gibt es keinen abschließenden Veränderungsdruck und deswegen haben wir nicht das Gefühl, dass wir vor der akuten Herausforderung stehen, jetzt alles neu denken zu müssen – auch wenn der Eindruck entsteht, dass man genau das machen sollte. Wir glauben, dass die Gesellschaft gerade wieder anfängt, sich stärker als Gemeinschaft zu sehen und begreift, dass sie nur als Gemeinschaft den Herausforderungen gewachsen ist. Wir glauben, dass man mit einer zu starken Individualisierung in der Gesellschaft die auf uns zukommenden Aufgaben nicht bewältigen kann. Das ist eine neue Entwicklung, die auch in die Architektur eingreifen wird. Es gilt das Miteinander wieder stärker zu thematisieren und Räume zu entwickeln, die die Gemeinschaft fördern, anstatt Bilder zu erzeugen, die eine längst überkommene gesellschaftliche Idee verkörpern.
Wie wird sich das Berufsbild der Architekt*in auch in Bezug auf deren soziale Verantwortung wandeln?
Wir haben im Moment eher das Gefühl, zumindest in Deutschland, dass die Architektenschaft in den letzten Jahren immer schwächer wurde. Die Position der Architekt*innen wurde immer mehr fragmentiert. Es gibt Spezialisten für jeden einzelnen Bereich und jede einzelne Aufgabe. Der Architekt oder die Architektin, die mit anderen etwas entstehen lässt, gibt es nicht mehr, sondern nur noch aufgesplitterte Dienstleister. Wir denken, dass die Architekt*innen wieder mehr die Initiatoren für Veränderungen in unserem gebauten Umfeld werden müssen. Wir müssen Diskussionen anregen, die wieder stärker den Blick auf die Organik der Architektur lenkt. Letztlich ist jede architektonische Tätigkeit Teil eines sozialen Organismus. Diesem Anspruch werden wir aber nur gerecht, wenn wir wieder stärker in die Diskussionen um die Architektur eingreifen. Hierfür gibt es inzwischen immer häufiger gute Beispiele, die aber mehr als Leuchtturm funktionieren.
Die Rekonstruktion ist im Bereich der Stadtentwicklung durchaus ein großes Thema. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Unserer Meinung nach müsste mehr Freiraum zugelassen werden. Es müsste ein Mix aus mehr Anarchie auf der einen Seite und einem gesteuerten, die Allgemeininteressen verfolgenden Prozess auf der anderen Seite geben. Wobei wir mit Anarchie eine Denkweise meinen, die unkonventionelle Ansätze zulässt. Wir halten das Rekonstruierende für eine fatale Entwicklung und ein veraltetes, konservatives Modell. Es lässt keinen Raum für Visionen. Um die Probleme unserer Städte zu lösen, müssen wir stärker visionär arbeiten und das Rückblickende ist da nur zum Teil dienlich. Natürlich ist ein Reflektieren auf das, was war, extrem wichtig, um zu verstehen, was uns helfen kann in die Zukunft zu kommen. Aber eben nur dann, wenn wir daraus eigene Ideen entwickeln, die sich in neuen räumlichen Programmen wiederfinden. Denken Sie an Berlin, wo Menschen sich an Theater oder Musik erfreuen und dann dafür in ihrem Wohnhaus einen entsprechenden Veranstaltungsort mit einplanen. Das sind Bilder, die wir gerne vermehrt sehen würden. Es muss mehr über das soziale Miteinander nachgedacht werden. Jeder Teilhaber an der Architektur, ob das der Architekt, der Investor oder die Kirchengemeinde ist, sollte dafür wieder stärker an einer gemeinsamen Idee für Stadt, für Raum und für Architektur arbeiten. Unser Wunsch wäre, dass die gemeinsame Suche nach guten Ideen für die Stadt und für ihre Bewohner wieder im Vordergrund steht. Bei uns sind gegenwärtig einfach zu viele Eigeninteressen unterwegs. Die Frage, die damit zusammenhängt, lautet: Was verstehen wir im städtischen Kontext unter dem Begriff Umwelt? Die Stadt wird ja oft gar nicht als Umwelt wahrgenommen. Wir reden über Naturschutz, über Öko- und Biosysteme, die wir schützen wollen – dabei ist auch die Stadt als ein schützenswertes Gesamtsystem zu sehen. Für so einen Organismus müsste allerdings ein Bewusstsein entstehen. In einem Naturschutzgebiet weiß jeder, ich darf nichts wegschmeißen, ich bin nur Gast. So eine Auseinandersetzung mit der Stadt ist bislang nicht initialisiert. Es gibt keine Einrichtungen, die diese Aufgabe annehmen und auch in den Schulen wird kaum über die Bedeutung von Architektur gesprochen, welchen Einfluss sie auf unsere Lebensweise und unser Wohlbefinden hat. Wir bräuchten ein breiteres kulturelles Bewusstsein für die Bedeutung von Architektur, von Stadt, von Haus und von Wohnung. Wir haben viel zu viel Baugeschehen und viel zu wenig Baukultur. Der Markt ist an einer schnellen Entwicklung orientiert, weil er nach schnellem Profit strebt. Eine Baukultur fordert etwas anderes.
Verändert die Digitalisierung den Entwurf und damit auch unsere Architektur?
Für uns ist das Building Information Modelling System ein reines Tool und wenn es besser ist, als das letzte, dann nehmen wir es gerne. Bei BIM geht es um Effektivität. Administrativ hat es Vorteile, wenn ich einen Haustechniker beispielsweise dazu zwingen kann, in einem 3D-Modell zu planen, denn dann weiß man, er hat das Ganze dreidimensional richtig gedacht – da gewinnt der Prozess. Wir als Architekt*innen haben schon immer nach Mitteln und Wegen gesucht, die Komplexität einer Planung darstellbar zu machen. In dem Sinne halten wir BIM für ein geeignetes, ergänzendes Tool, das unserer Meinung nach die Architektur allerdings nicht nachhaltig verändern wird.
Sie leiten als Architekten ab heute das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Was würden Sie tun?
Wir würden uns gar nicht in die Rolle des Politikers begeben wollen. Die Frage ist doch viel eher, wie wollen wir als Architekten*innen die Baukultur beeinflussen? Wenn wir jetzt den Begriff des Heimatministeriums nehmen: Wie gehen wir mit gewachsenen kulturellen Strukturen um? Grundsätzlich würden wir durchsetzen wollen, dass nicht noch mehr Fläche versiegelt wird, sondern die bereits zugebauten Flächen verdichtet werden. Das nächste wichtige Thema ist die Infrastruktur. Wie ist eine zukünftige Infrastruktur in Hinsicht auf Mobilität und Energieversorgung aufgebaut? Wir denken in Deutschland immer noch in einer Flächenentwicklung, also dass quasi jedes Dorf an allen Möglichkeiten unserer Gesellschaft teilnimmt – was aber de Facto nicht der Fall ist. Die Idee heute ist, auch für den kleinsten Ort eine Autoabfahrt und einen High-End-Internetzugang zu bekommen. Vielmehr sollten wir damit umgehen, dass wir nicht an jedem Ort, an dem wir uns befinden, immer die gleichen, vergleichbaren Möglichkeiten haben.
Gast
Christian Olufemi & Jörg Moser
Olufemi Moser Architekten
Bevor Christian Olufemi an der RWTH Aachen und TU München sein Architekturstudium erfolgreich abschloß, studierte er an der RWTH Aachen Physik. Nach dem Studium war Christian Olufemi in verschiedenen Architekturbüros sowie selbstständig als Architekt tätig.
Jörg Moser ist seit 2013 Mitglied im Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA). Zuvor war er sowohl selbstständig als Architekt tätig als auch Teil in zahlreichen Architekturbüros sowie im wissenschaftlichen Rat der TU München. Sein Architekturstudium absolvierte er an der RWTH Aachen.
Olufemi Moser Architekten wurde 2019 von Christian Olufemi und Jörg Moser gegründet.
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.