Upcoming Architects Facing New Conditions
Interview mit Roger Wirtz
Wenn Sie als Architekt ab heute das Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat leiten würden, was würden Sie als Erstes ändern?
Ich würde die Vorbildfunktion des Bundes ernst nehmen. Gerade die öffentliche Hand sollte mit bestem Beispiel vorangehen, um mit kreislaufgerechten Bauweisen eine qualitätvolle Umwelt zu gestalten und das nicht nur bei einzelnen Vorzeigeprojekten! Qualität kostet natürlich Geld – Geld das jedoch sehr gut angelegt wäre, da es den Bürger*innen zeigt, dass ihre Zukunft wichtig ist. Des Weiteren würde ich jede Außenentwicklung infrage stellen und die stetige Flächenversiegelung stoppen. Und dann würde ich bei meinen Kolleg*innen des Verkehrsministeriums darauf hinwirken, dass kein Geld mehr in den zusätzlichen Ausbau von Straßen investiert wird, um die individuelle Mobilität durch Verbrennungsmotoren und so weiter einzuschränken. Mobilität werden wir brauchen. Es geht darum, über andere Konzepte nachzudenken und da kommt uns auch die Digitalisierung entgegen. Wenn ich nicht mehr jeden Tag pendeln muss, kann die ländliche Region vorangebracht werden.
Was benötigen wir angesichts des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der Energieeffizienzthematik für Architektur? Müssen wir umdenken oder sind wir gut vorbereitet?
Die Frage geht über die Architektur hinaus. Ich finde, vor allem die jüngere Generation tritt sehr sensibilisiert auf. Es wird ja oft über die jungen Absolvent*innen geschimpft, weil die Ausbildung in eine falsche Richtung gehe. Wo sie auf jeden Fall in die richtige Richtung geht, ist in puncto Klimazukunft. Da gibt es eine sehr hohe Motivation und Diskussionsfreude innerhalb der Hochschulen, Büros und darüber hinaus. Im Bausektor hantieren wir als Architekt*innen mit sehr hohen Primärenergie-Einsätzen, wo wir reagieren können. Wir haben bis vor Kurzem immer darüber nachgedacht, wie wir unsere Häuser dazu bringen, im Winter weniger Energie zu brauchen. Das ist nicht mehr die eine Aufgabe der Zukunft: Wir müssen gucken, wie wir unsere Gebäude vor Überhitzung schützen, denn dort ist der Energieverschleiß durch Kühlung viel höher als beim Heizen. Bei dem Thema finde ich Low-Tech-Ansätze übrigens immer sehr reizvoll. Es ist schon viel gewonnen, wenn man bei Sonnenschein den Rollladen runter lassen kann. Dazu kommt, dass Wohnungsbaugesellschaften jetzt mehr und mehr nutzungsneutrale Grundrisse wollen. Die Frage ist da dann: Wie müssen die Grundrisse aussehen? Welche Deckenhöhen brauchen wir? Aktuell haben wir viel Sanierungsbedarf bei Gebäuden aus den 1970er-Jahren, wo eigentlich nur noch abgerissen werden kann. Damals wurden aus wirtschaftlichen Gründen Geschosshöhen von 2,40 Meter realisiert, die sich fast gar nicht umnutzen lassen – diesen Fehler dürfen wir nicht noch mal machen! Die Lebenszyklusbetrachtung inklusive der Wiederverwertung von Gebäuden bei Planung und Bau nicht aus den Augen zu verlieren, wäre eine echte Optimierung auch im Investmentbereich.
Unser aller Leben hat sich seit der Pandemie verändert – hat das auch Einflüsse auf unsere Baukultur?
Es gab einen Zwischentrend...wenn ich lese, dass Frankfurt nicht mehr wächst, ist festzustellen, dass aufgrund von Wanderungsbewegung der Druck auf die Metropolen nachlässt und im gleichen Maße in der Peripherie zunimmt. Das heißt, die Metropolregionen wachsen und entwickeln sich, während die Kernpunkte in den Metropolen verlieren. Das finde ich schwierig, weil Wege so wieder länger werden. Eine innerstädtische Verdichtung ist erforderlich – dafür hat unserer Bevölkerung ein ausgeprägtes Bewusstsein. Je weiter ich aber in die Peripherie komme – das darf ich als gebürtiger Landmensch an dieser Stelle so sagen – desto schwerer tut man sich. Dort ist man noch nicht so weit, dass man das, was man hat, schätzen kann. Gerade in Dörfern, die funktionieren, wird die kohärente Erscheinung zugunsten von Neubaugebieten geopfert. Das ist eine Entwicklung, die es zu vermeiden gilt. Hinzu kommen Veränderungen durch Mobiles Arbeiten. Ich hoffe, dass damit Einsparungen erzielt werden können und der Rückbau von monofunktionalen Innenstädten als Trend bestehen bleibt; sodass zahlreiche Bürogebäude entfallen können und die Arbeitenden sich weniger Plätze teilen. Der Anstieg der Arbeit im häuslichen Umfeld lässt dabei hoffen, dass das Bewusstsein für die Wertigkeit der eigenen Wohnumgebung steigt; weil sie nicht mehr nur die Schlafstadt ist, sondern der Aufenthaltsort, an dem man einen großen Teil seiner Lebenszeit verbringt.
Die Share-Economy ist im Trend. Welche Auswirkungen hat dieser Trend auf unsere Architektur?
Der Einfluss wird hoffentlich sehr groß sein. Wir arbeiten z.B. gerade an Auto-reduzierten Quartieren. Selbst in Städten wie Trier, wo das Auto noch sehr verhaftet ist. Wir meine, die Straße, der öffentliche Raum ist nicht mehr dem Auto vorzubehalten, sondern den Menschen. Wir suchen dabei immer auch nach Lösungen für den Umgang mit dem stehenden Auto. Die Lösung kann da aber nicht immer sein, dass wir das Auto in Tiefgaragen parken, sondern dass wir fragen, braucht man das Auto überhaupt? Und da haben die Sharing-Konzepte eine ganz klare, zentrale Bedeutung. Parkgebäude müssen in Quartieren trotzdem nach wie vor platziert werden, aber eben nicht monofunktional. Möglicherweise kann die Parkfunktion als Aktivator dienen, um weitere verwandte Themen anzubinden wie Fahrradstellplätze, Paketanlieferstellen oder den Anknüpfungspunkt an den öffentlichen Nahverkehr. Und dann gibt es auch die Option sich architektonisch äußern zu können. Nicht als plumpes Parkgebäude, sondern in Form von aktivierten Energie-Fassaden mit Photovoltaik oder Windkraft auf dem Dach. In Städten wie Kopenhagen ist man in solchen Fragen schon viel weiter, da können wir uns einiges abschauen
Mit welchem Anforderungsprofil müssen sich Architekt*innen künftig auseinandersetzten – auch im Hinblick auf ihre wachsende soziale Verantwortung?
Wir können immer nur Teilaspekte belegen und müssen offen sein für gemeinschaftliche, soziale Bauaufgaben. Da sind andere demokratische und kommunikative Prozesse gefordert, die man aufnehmen muss und die vielleicht nicht ganz einfach sind, wenn man über Beteiligung nachdenkt. Das ist genau das Gegenteil von schillernder Stararchitektur, wo man sagt: „Ich möchte mich verewigen, haut raus.“ Ich persönlich hoffe, dass das Berufsfeld des Architekten im Kern erhalten bleibt – nämlich der bauende Architekt. Je größer das Büro wird, desto mehr sind wir auf Teilbereiche unserer Arbeit verhaftet und dadurch geht viel verloren. Das ist eine Veränderung, auf die wir ungern reagieren, weil wir unsere Entwürfe auch umsetzen wollen. Gleichzeitig merken wir im Büro, wenn wir zum Beispiel für eine Genossenschaft tätig sind, dass es häufig darum geht, die Gewinnabschöpfung nicht anderen zu überlassen, sondern diese in die Qualität des Bauprojekts zu investieren. Da gibt es hervorragende Beispiele, wo das gemeinschaftliche Bauen gerade zu einer Umkehr führt und das müsste man, auf eine breitere Basis stellen, um mehr Menschen mit einzubeziehen. In der Kommunikation ist das vielleicht etwas anstrengender als bei nur einem Auftraggeber, aber das ist das Wesen unserer Gesellschaft, dass viele zu Wort kommen und dass man im Diskurs weiterkommt.
Gast
Roger Wirtz
Stein Hemmes Wirtz Architekten, Frankfurt a. M.
Roger Wirtz (*1976), Dipl.‐Ing. Architekt BDA, studierte an der TU Darmstadt. Vor seinem Studium absolvierte er von 1997‐1999 zunächst eine Ausbildung zum Bauzeichner in Trier. Neben freiberuflichen Tätigkeiten während seines Studiums folgte 2005 ein Auslandspraktikum bei querkraft architekten in Wien. Nach seinem Diplom 2006 bei Prof. Günter Pfeifer arbeitete er bei Jo. Franzke Architekten in Frankfurt / Main. 2008 erfolgte die Eintragung in die Architektenliste der hessischen Architektenkammer. Seit 2010 ist er Partner im Büro ARCHITEKTEN STEIN HEMMES WIRTZ und gründete die Niederlassung in Frankfurt / Main, die er seitdem gemeinsam mit seiner Frau Sabrina Wirtz führt. Im Jahr 2018 wurde er in den Bund deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) berufen. Neben Gastkritiken, Werk‐ und Fachvorträgen engagiert sich Roger Wirtz im Sinne der Baukultur auf dem Land und in der Stadt.
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.