Innenarchitektur im Einklang mit Nachhaltigkeit
Interview mit Sylvia Leydecker
Die Baubranche befindet sich im Wandel. Was sind für Sie die bedeutendsten Transformationsthemen?
Wir sind als Disziplin kein von allem losgelöster Satellit. Bauen ist abhängig von politischen Rahmenbedingungen und von aktuellen Entwicklungen auf dem Finanzmarkt und vom Thema Nachhaltigkeit in Deutschland, aber auch in der EU. Wir begreifen uns als Innenarchitekturbüro als ein wichtiges Rädchen im großen Ganzen. Unsere Bauherren und Auftraggeber setzen darauf, dass wir all diese Themen überblicken und berücksichtigen. Was ist mit Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft? Was ist mit Klima, Umwelt und Biodiversität? Insgesamt würde ich sagen, ist die Transformation des Bauens zusammen mit der Digitalisierung das Gebot der Stunde. Angefangen beim Entwurfsprozess, Stichwort BIM, bis hin zu der Frage, wie wird ein Gebäude nachher unterhalten.
Die Baubranche ist nach wie vor sehr fragmentiert und im Vergleich zu anderen Branchen weist sie eine niedrige Produktivität auf. Welche Lösungsansätze gibt es hier?
Die Fragmentierung ist der Punkt. Das lässt mich sofort an die lange Wertschöpfungskette im Bauen denken. Das ist ein Riesenhemmschuh, der Geschwindigkeit verhindert. Ich bin überzeugt, die Kette ist nur deswegen so lang, weil die Protagonisten schlicht ein Kommunikationsproblem haben. Es würde helfen, wenn sich die Entwicklungsteams mit uns an einen Tisch setzen, um darüber zu sprechen, was wir in der Praxis tatsächlich brauchen. Der interdisziplinäre Austausch in alle Richtungen ist die Lösung auch in die andere Richtung der Wertschöpfungskette zu unseren Auftraggebern. Wir können nicht bis in alle Ewigkeit mit Gipskarton und Spanplatten unterwegs sein. Die Entwicklung Richtung neue Materialien bezieht sich aktuell viel auf den Rohstoff Holz. Der wird aber nicht endlos skalierbar sein, wenn wir nicht unsere Wälder und alle anderen Ökosysteme gleich mit ruinieren wollen. Echte technologische Innovationen sind gefragt, genauso wie ein Arbeiten Hand in Hand über alle Disziplinen hinweg.
Was verstehen Sie unter zukunftsorientierten Raumkonzepten?
Zukunftsorientiert bedeutet nachhaltig agieren, in Kreisläufen denken und Prozesse im Blick behalten. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass ich schon sehr früh recycelte Glaskeramik oder auch EPD-zertifizierte Produkte eingesetzt habe und immer versucht war den jeweiligen Bestand zu erhalten und wieder zu nutzen, statt nur zu entsorgen. Zukunftsorientierung bedeutet für mich jeweils im Blick zu behalten, was kommt und dies entsprechend ein Stück weit vorauszunehmen und zu ermöglichen. Innovative Aspekte zu integrieren und damit Impulse zu setzen ergibt sich damit fast automatisch. Nachhaltig zu agieren ist facettenreich.Ich selbst frage stets: Wie werden die Arbeitsprozesse aktuell aussehen und sich ändern, wo gehen sie hin? Denn ich versuche bestmöglich sinnvolle Prozesse im Raum, insbesondere in Krankenhäusern, zu unterstützen und trotzdem so viel Flexibilität zu ermöglichen, dass auch sich verändernde Prozesse Platz finden. Zukunftsorientiert und innovativ zu sein, bedeutet darüber hinaus an Kleinigkeiten des Alltags zu denken wie einen Garderobenhaken an der richtigen Stelle oder eine geeignete Oberfläche. Das sind natürlich alles keine Revolutionen, was im Allgemeinen in Krankenhäusern auch gar nicht möglich ist, aber ich bleibe dran, kontinuierlich neue Materialien und Ideen einzubringen. So erhalten unsere Projekte Leuchtturmcharakter mit Signalwirkung und es geht wieder ein Stückchen nach vorne.
Der Healthcare-Bereich steht vor einem Umbruch. Einrichtungen werden zu größeren Einheiten zusammengefasst. Ist das aus Ihrer Sicht nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern auch für den Menschen der richtige Schritt?
Ich behaupte mal, Sie zielen auf die Krankenhausreform ab. Da geht es, wenn man das grob zusammenfassen will, um Qualität und das Prinzip, dass medizinische Qualität im Zweifelsfall vor räumlicher Nähe einzustufen ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass zusätzlich neue Strukturen aufgebaut werden: Mit dem Gesundheitskiosk, also kleinen ambulanten Standorten, bleibt medizinische Betreuung in der Nähe. Ich behaupte, auf den einzelnen betrachtet, mögen die Entwicklungen negative sein (wenn man länger auf Behandlungen warten muss oder der eigene Arbeitsplatz wegfällt), aber langfristig ist diese Umstrukturierung der bessere Weg. Dabei haben wir das strukturelle Problem der Fallpauschalen noch nicht gelöst, die Krankenhäuser bei Personalmangel dazu anhalten, mehr Eingriffe vorzunehmen, um wirtschaftlich zu bleiben. Das Entökonomisieren des Gesundheitswesens ist aktuell ein echtes Thema. Wenn Krankenhäuser die stationäre Behandlung im Griff behalten, und in der Lage sind qualitativ gute Arbeit mit motiviertem Personal zu leisten und dazu die Digitalisierung zu wuppen, dann glaube ich könnte das, was werden. Wichtig ist und bleibt hoffentlich die menschliche Zuwendung und ob diese möglich ist, hängt am Gesamtsystem, den Arbeitsprozessen und Zeitfaktoren. Dazu kann ich nur sagen: Der tollste Raum hilft niemandem, wenn keine Zeit für Zuwendung bleibt.
Wie beurteilen Sie die Abkehr von der Zeichnung hin zur Cloud?
Dringend erforderlich. Vor 15 Jahren war das bereits ein Riesenthema im IT-Bereich. Aber die Entwicklung geht natürlich voran, und man darf nicht vergessen, dass das kostenintensiv ist. Bei den großen Büros kommen für die Überführung auf eine Cloud richtige Summen zusammen. Ich selbst habe mich für ein BIM kompatibles System entschieden. Wenn ich jetzt allerdings überlege, wie viel Wärme die Serverfarmen erzeugen, die für all das nötig sind, dann muss man sich schon fragen, wie nachhaltig das insgesamt tatsächlich ist. Die generierte Wärme müsste man wenigstens anzapfen können. Zudem müsste Datenübertragung bei uns erst einmal flächendeckend, funktionieren – von Datensicherheit abseits Cyberkriminalität ganz zu schweigen. Wenn man sich anschaut, was da los ist bleibt noch einiges zu tun, um eine verlässliche Transformation zu schaffen.
Gastgeberin
Sabine Gotthardt
Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA
Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.
Gast
Sylvia Leydecker
Innenarchitektin bdia AKG 100% interior, Köln
Sylvia Leydecker ist eine der führenden deutschen Innenarchitektinnen und für ihre innovativen Healthcare-Entwürfe bekannt. Mit ihrem Studio 100% interior ist sie auf das Gesundheitswesen spezialisiert. Nach dem Studium der Innenarchitektur zur Diplom-Ingenieurin in Wiesbaden und Jakarta/Indonesien, erwarb sie ihre Eintragung als Innenarchitektin. Sie ist Autorin mehrerer Bücher und Health&Care Management Architekturkolumnistin. Sylvia Leydecker war Vizepräsidentin des bdia und Past Boardmember der internationalen IFI, ist im Beirat des DDC und als langjährige Expertin für Smart Materials und Ressourceneffizienz Mitglied des Nachhaltigkeitsbeirats im TFI der RWTH Aachen. In Partnerschaft mit der Plattform World Architects lanciert sie aktuell als Kuratorin das erfolgreiche Themenspecial "Healing Architecture". Ihre Projekte sind international mehrfach ausgezeichnet, Meilensteine und Gamechanger zugleich.