Paradigmenwechsel in der Baubranche: Quo Vadis?

Interview mit Thorsten Schmedt

Das ökonomische Interesse steht bei vielen Investor:innen und Projektentwickler:innen nach wie vor an erster Stelle. Wie kann die gebaute Umwelt dennoch nachhaltig und lebenswert gestaltet werden? 

Das lässt sich nicht pauschal beantworten und hängt immer von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab. Aktuell merken wir durch den Krieg und die damit explodierenden Energiepreise, dass Technologien, die es schon seit Jahren gibt, auf einmal in den Fokus rücken. Es wird nach Alternativen zum Gas gesucht und nach einer gewissen Unabhängigkeit. Betrachten wir das positiv, rückt damit das Thema der regenerativen Energien stärker ins Blickfeld. Die Entwicklung führt aber auch dazu, dass beispielsweise Wärmepumpen momentan eine Lieferzeit von über einem Jahr haben. Erschwerend kommt bei vielen Rohstoffen neue Preisentwicklung hinzu. Was aktuell in der Baubranche insgesamt häufig beim großen Thema der Nachhaltigkeit noch fehlt, sind die richtigen Anreize zur Veränderung. Dazu vielleicht ein Beispiel: In Holland waren nicht von Anbeginn alle begeisterte Fahrradfahrer. Erst als Parkraum bewusst gesteuert wurde und dieser in den Innenstädten einfach so teuer, dass Abhilfe geschaffen werden musste. Die Städte investierten die Einnahmen in die Rad-Infrastruktur, womit das Radfahren schrittweise attraktiver wurde. Entscheidend dabei ist auch bei uns die Frage: Welche Chancen tun sich auf, wenn der Straßenraum nicht mehr nur für das Auto gedacht wird und Raum für ein neues städtisches Leben entsteht.

 



Müsste die Architektenschaft unternehmerischer denken oder sollte sie eine andere Form der Kommunikation und der Empathie zu Problemen finden, die sich am Markt ergeben? 

Die Architektenschaft muss selbstverständlich unternehmerisch denken. Die Büros tragen eine große Verantwortung für die Projekte, aber auch für ihre Mitarbeiter:innen. Um die jeweiligen Interessen und Zwänge des Marktes, die unsere Bauherr:innen bewegen, besser verstehen zu können, haben Andreas Michels und ich nach unserem Architekturstudium zusätzlich Immobilienökonomie studiert. Bei vielen unserer Projekte geht es nicht nur um die beste technische und gestalterische Lösung, der wirtschaftliche Aspekt spielt dabei auch immer eine zentrale Rolle. Und meist geht dieser Hand in Hand mit ökologischen oder sozialen Motiven. Damit sich ein Produkt, also Architektur, am Markt.

 



Was sind für Sie in Ihrer täglichen Arbeit die größten Herausforderungen? 

Den komplexen Anforderungen, die ans Bauen gestellt werden, gerecht zu werden, ist eine Herausforderung in sich. Schon lange geht es nicht mehr nur darum, schöne Gebäude zu erstellen, die noch dazu funktional sind. Vielmehr geht es darum, Gebäude nicht mehr singulär zu betrachten und gemeinsam mit den Bauherr:innen zu schauen, wie das Objekt. Eingebettet in einem städtebaulichen Kontext einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen kann. Dazu kommen heute vielfältige technische Anforderungen und natürlich der Transformationsprozess zu einem klimaneutralen Bauen. Insofern sind in den letzten Jahren durch Gesetzgebungen und Verordnungen immer mehr Themen hinzugekommen, die in der Zukunft, nicht weniger, sondern eher vielfältiger und komplexer werden.




Sie haben bei &MICA das Bedürfnis, mit Architektur eine lebenswerte Welt mitzugestalten. Würden Sie unsere gegenwärtige Baukultur als lebenswert bezeichnen? 

Es entstehen derzeit beeindruckende Projekte, parallel entwickeln sich immer noch Gebäude, die weniger ansprechend und vorwiegend monetär getrieben sind und ihren Kontext ignorieren. Wenn ich ein Gebäude in die Stadt oder in die Region einfüge, muss ich die Übergänge mit betrachten, Toträume vermeiden, Aufenthaltsqualitäten oder andere Mehrwehrte schaffen. Quartiere bergen dabei großes Gestaltungspotenzial, wenn sie nicht monofunktional gedacht sind. Wichtig ist dabei auch die soziale Gerechtigkeit im Blick zu behalten, um unsere soziale Vielfalt zu erhalten.




Wie würden Sie die resiliente Stadt der Zukunft beschreiben? Brauchen wir neue Synergien der verschiedenen Bautypologien?

Ich sehe nicht, dass wir künftig neue Typologien benötigen. Die europäische Stadt, mit ihren unterschiedlichen Typologien existierte und funktionierte schon weit vor der Industrialisierung als ein verdichteter Kulturraum. Insbesondere in den letzten hundert Jahren hat sie sich an die sich veränderten Rahmenbedingungen angepasst, was leider zu dem heutigen Status Quo führte: Einer zum Teil sehr starken Trennung von Nutzungen, wie z. B. dem Wohnen und Arbeiten, das unter anderem zu einem hohen Verkehrsaufkommen führt. Ich bin aber optimistisch, dass die Stadt mit den uns bekannten Gebäudetypologien die zwingend erforderliche Transformation hin zur Klimaneutralität schaffen kann.




Gast

Architekturwelt
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Thorsten Schmedt

&MICA

Thorsten Schmedt bewegt seit der Schreinerlehre in Pforzheim und dem Architekturstudium in Dresden die Idee eines ökonomisch und ökologisch vertretbaren Bauens, immer begleitet vom Anspruch an Ästhetik und Qualität. Letztlich hat ihn dies auch dazu bewogen, sich zum ›Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken‹ und schließlich zum ›Immobillienökonom‹ auszubilden. An der renomierten ›International Real Estate Business School‹ in Berlin lernte er auch Andreas Michels, den Gründer von &MICA [vormals Michels Architekturbüro] kennen.

Nach Stationen in Köln, bei der ›Gruppe MDK‹ und ›Molestina Architekten‹ schloß sich Thorsten Schmedt 2017 dem Architekturbüro &MICA an – seit 2021 als Geschäftsführer, gemeinsam mit Andreas Michels.

 

Gastgeberin

SabineGotthardt
SabineGotthardt

Sabine Gotthardt

Leader, Business Development Architecture & Real Estate Central Europe, LIXIL EMENA

Als Diplom-Ökonomin wurde sie 2008 von der GROHE Deutschland Vertriebs GmbH beauftragt, ein Netzwerk von VIP-Architekturbüros und Immobilienunternehmen aufzubauen, um deren Empfehlungsverhalten zugunsten von GROHE positiv zu beeinflussen. Als "Türöffnerin" entwickelte sie Strategien, um die Top-Entscheider der Architektur- und Innenarchitekturszene an GROHE zu binden. Verschiedene von ihr entwickelte Interviewreihen dokumentieren das Engagement von GROHE, die Entwicklungen und Veränderungen in der Baubranche als Partner zu begleiten.

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